Während in Deutschland noch die Eisblumen die Flora bereichern, sprießen in Südtransdanubien bereits die ersten Knospen. Die richtige Zeit um dorthin zu fliehen.
Beim Zusammenstellen unserer Ausrüstung darf der Eiskratzer nicht fehlen. Noch immer herrscht im hohen Norden Deutschlands Bodenfrost und gefrorene Windschutzscheiben sind an der Tagesordnung, während wir unsere anstehende Reise planen. Es geht Richtung Süden. Südtransdanubien, die ungarische Auenlandschaft direkt an der Grenze zu Kroatien. Bekannt ist diese malerische Landschaft nicht nur wegen der zahllosen Wildblumenflächen und der vielen Vogelarten sondern auch aufgrund der hohen Rotwilddichte. Für uns steht jedoch die Frühpirsch auf Keiler auf dem Programm, denn auch das Schwarzwild schätzt die hier herrschende Ruhe und die sumpfigen Wälder. Der abnehmende Mond macht es uns möglich bereits zu früher Stunde müde die Federn zu verlassen, um bereits vor der einbrechenden Morgendämmerung mit der Pirsch zu beginnen. Höchste Vorsicht und Rücksichtnahme sind nötig, will man diese sensiblen Bereiche nicht stören. Csanad, unser ungarische Freund und Berufsjäger kennt das Revier wie seine Westentasche und weiß nur zu genau welche Pfade sich für die Pirsch auf Schwarzwild anbieten. Es ist noch vor Sonnenaufgang als wir unseren ersten Reviergang beginnen. Ohne hohe Gummistiefel geht hier gar nichts! Knietief sind viele der zahlreichen Pfützen und so mancher Bach will durchwatet werden und das auch noch möglichst geräuschlos. Kein einfaches Unterfangen. Zum Glück liefern die Frösche aus den umliegenden Teichen ein Konzert, welches so manchen Fehltritt ungehört lässt. Sicher tun sie dies, um uns die Pirsch zu erleichtern. Schließlich stehen sie nicht nur bei unseren Störchen, sondern auch bei den hiesigen Sauen oben auf der Speisekarte. Schauen wir auf den Boden, entdecken wir kaum einen Quadratmeter ohne ein Dutzend Trittsiegel. Ein sicherer Beweis für die hohe Wilddichte. Rot, Dam, Schwarz und Rehwild aber auch Fuchs und Schakal hinterlassen klare Spuren im Matsch. Wir überqueren gerade einen Holzsteg als plötzlich ein helles Quieken zu vernehmen ist. Sofort erstarren wir zu Salzsäulen und bieten vermutlich ein lustiges Bild. Mit einem Fuß auf einem Steg, den anderen bereits am Ufer bekommen wir den ersten Anblick. Eine dicke Bache führt eine Rotte von acht Sauen an. Das helle Quieken jedoch stammt vom dem ihr folgendem Kindergarten. Sicher mehr als dreißig Frischlinge wuseln über die Freifläche ihren Mamas hinterher. Welch herrlicher Moment! Wer denkt da schon an afrikanische Schweinepest und Wildschäden? Wir genießen einfach den Augenblick und vergessen unsere Müdigkeit so schnell. Dies sollte für den heutigen Morgen aber nicht das einzige Erlebnis bleiben. Als wir eine Schneise erreichen sichert direkt vor uns ein Alttier. Unvorstellbar, was nun folgt! Mehr als achtzig Stück Rotwild wechseln keine sechzig Schritte vor uns über den Weg. Wir wagen kaum zu atmen. Ein nicht enden wollender Zug von Leibern drängt sich dicht an dicht über die Blöße. Auch wenn wir an diesem Vormittag keinen Keiler sehen, diese Anblicke entschädigen alles. Auch die kommenden Pirschgänge bringen viel Rot und Rehwild, sogar zwei kapitale Damhirsche. Lediglich die begehrte Beute lässt auf sich warten. Nur noch eine einzige Pirsch bleibt uns, bevor wir wieder zurück in unsere Heimat reisen müssen.
Es ist drei Uhr in der Früh als wir uns ein letztes Mal aufmachen. Wir wollen heute entlang einer Gastrasse unser Glück versuchen. Die lange Schneise wird gern vom Schwarzwild aufgesucht ehe sie ihr Schlafquartier beziehen. Kaum hundert Meter kommen wir, als ein brechender Ast uns aufhorchen lässt. Plötzlich steht ein schwarzer Klotz vor uns. Im schwachen Mondlicht ist ein genaues Ansprechen auf die Schnelle nicht möglich. Zu schnell wechselt der Geist zurück in den Bestand.
Ein Entschluss muss her und wir entscheiden uns die Trasse zu verlassen um parallel zur vermeintlichen Fluchtrichtung weiterzupirschen. Es geht in Richtung einer Kirrung, welche gern von allen Waldbewohnern regelmäßig angenommen wird. Jetzt nur kein unnötiges Geräusch verursachen, denn weitere knackende Äste zeugen von der Anwesenheit des erblickten Schwarzkittels. Vorsichtig setzen wir zuerst immer die Fußspitze in den Matsch. Nur so verhindern wir das schmatzende Geräusch unserer Gummistiefel. Wie Ballerinas tänzeln wir durch den Bestand. Gut, dass es eine verlassene Gegend ist und zudem noch dunkel. Würde uns jemand sehen, er würde sich schütteln vor Lachen. Durch diese Tanzeinlage gelangen wir zum Kirrplatz. Ein Stück Rehwild ist bereits vor Ort und äst gemütlich ohne uns wahrzunehmen. Hier ist das Licht mittlerweile ausreichend um ihn eindeutig als Bock anzusprechen. Jetzt fehlt nur noch der Hauptdarsteller. Irgendetwas muss der Bock vernommen haben, denn plötzlich macht er einen Satz zur Seite, äugt angestrengt in die uns entgegengesetzte Richtung und springt mit lautem Schrecken ab. Wir sind alarmiert und die Hog Hunter liegt bereits im Voranschlag auf dem Pirschstock. Nun hören wir es auch. Platschendes Wasser verrät das anwechselnde Wild. Nicht nur wir Jäger haben es auf diesem Untergrund schwer geräuschlos voranzukommen. Der vorhin erblickte schwarze Klotz nähert sich der Futterstelle. Langsam näherkommend können wir ihn eindeutig als Keiler ansprechen. Jetzt muss er nur noch breit stehen und wir könnten schießen. Es sind gefühlte Ewigkeiten in denen wir Gänsehaut und einen beschleunigten Puls haben denn der Keiler steht noch immer ungünstig. Die Passion schwindet auch nach vielen Jagden nicht und so soll es auch bleiben. In aller Seelenruhe bricht die Sau den Boden auf und die Spannung ist kaum noch zu ertragen. Für einen kurzen Moment steht der Keiler scheibenbreit. Nochmal tief Luft geholt und die Kugel ist raus. Der laute Schussknall und das Mündungsfeuer erscheinen in solch einem Augenblick wie eine große Explosion. Deutlich zeichnet der Schwarzkittel bevor er seine letzte Flucht antritt. Auf vierzig Gängen rempelt er gegen Bäume und zeigt so deutlich seinen Treffer. Ein letztes Krachen lässt keinen großen Zweifel mehr zu. Er ist tödlich getroffen und verendet. Zeit für ein Zigarillo und über das Erlebte nachzudenken. Mittlerweile hat die Morgendämmerung die Nacht besiegt und wir gehen zum Anschuss. Deutlich sichtbar finden wir an Stämmen und auf dem Waldboden Schweiß. Der Spur zu folgen fällt leicht und so erreichen wir zügig den erlegten Keiler. An die hundert Kilo wird er wohl auf die Waage bringen und unseren Speisplan bereichern. Als wir den Bassen aufbrechen, herrscht schon längst wieder Ruhe im Revier. Lediglich die Frösche bedanken sich bei uns mit lautem Gequake. Kein Wunder also, dass wir unsere Beute „Krötenkeiler“ genannt haben. Zugegeben, auch „Froschkönig“ stand zur Debatte. Für uns war es die erste Beute in Ungarn. Wir freuen uns schon darauf noch viele Male hier jagen zu dürfen. Köszönöm sagt man hier, will man sich bedanken.